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Wohnen

Glücksfall im Kleeblatt

Caroline Bobek, Unternehmenskommunikation

21. Mai 2024
Sie wissen voneinander, was sie draufhaben und vertrauen sich voll und ganz: Radmila und Nicole, gemeinsam verantwortlich für eine grosse Doppel-Wohngruppe. Die beiden überblicken ein langes Stück Wagi-Geschichte und kennen das Geheimnis einer guten Co-Leitung. 

«Der Fotograf ist da!» Die Mitteilung der Mitarbeiterin, die in der Türe steht, klingt dringlich, trotzdem kommt keine Hektik auf. Der Fotograf solle warten, erst würde das Gespräch zu Ende geführt. Die beiden Chefinnen der WG «Kleeblatt» sind es offensichtlich gewohnt, eins nach dem anderen zu nehmen. Es ist Mittwochmorgen, noch ist ungewiss, was der Tag alles bringen wird. Auch wenn ein Fotoshooting ansteht, wird kein grosses Aufheben gemacht. «Zwischen uns läuft es, ohne dass wir viel besprechen müssen», sagt die eine. Und mit der gleichen Selbstverständlichkeit fügt die andere an: «Wir ergänzen uns, darum funktioniert es.»

«Man muss sich selber ein bisschen zurücknehmen können, es geht ums Team und die Menschen, die wir betreuen.»

Nicole Bernasconi, Co-Leiterin WG Kleeblatt

Arbeitsteilung in komplexem Umfeld

Dass es funktionieren muss, ist klar: 16 Bewohnerinnen und Bewohner mit ganz unterschiedlichem Unterstützungsbedarf leben in der WG «Kleeblatt», mehr als ein Drittel von ihnen mit schwerer Beeinträchtigung. Drei werden über Magensonden ernährt, eine Person ist so eingeschränkt, dass eine rund um die Uhr-Überwachung notwendig ist. «Dann haben wir Menschen bei uns, die zwar körperlich stark beeinträchtigt, aber kognitiv sehr fit sind», erklärt Nicole, «andere sind in der Lage, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, benötigen aber in der Lebensgestaltung viel Begleitung.» Daraus ergeben sich ethische Fragen, die sorgfältig geprüft und mit den Angehörigen diskutiert sein wollen. Die Organisation des grossen Teams, darunter drei Auszubildende, ist komplex. Radmila kümmert sich unter anderem um übergeordnete Aufgaben, Nicole um die Kundenbefragungen. Radmila ist Teil der erweiterten Geschäftsleitung, beide erledigen Administratives. An Sitzungen geht, wer es besser einrichten kann, es sei denn, Thema ist die Lebensqualität der Betreuten. «Dann sind wir beide da», sagt Radmila, «das ist sehr wichtig».

Im Paradies gelandet

Es ist keine Frage, dass die Co-Leiterinnen voneinander wissen, was die andere draufhat. «Sie war für mich ein Glücksfall», sagt Radmila über Nicole. Und Nicole über Radmila: «Ich habe viel von ihr gelernt.»

Nicole Bernasconi, die dieses Jahr ihr 30. Wagi-Jubiläum feiert, wurde im Alter von 21 Jahren als Aushilfe engagiert und dann fest angestellt. «Ich dachte, ich bin im Paradies gelandet», erinnert sie sich, «was ich alles machen durfte, die abwechslungsreiche Arbeit, einfach toll.» Trotz der Begeisterung lockte die Ferne, Reisen war angesagt, Jugend halt. «Ich war am Oliven pflücken, als jemand vom Wagi-HR anrief und fragte, wann ich zurückkomme.» Nicole liess sich nicht zweimal bitten und stellte damit eine wichtige Weiche für ihre berufliche Karriere. Ursprünglich medizinische Praxisangestellte, entschied sie sich für eine dreijährige Ausbildung in der Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigung. «Ich durfte das berufsbegleitend machen und wurde noch vor meinem Abschluss stellvertretende Leiterin einer WG.» In den Folgejahren sammelte sie auf verschiedenen Gruppen Erfahrung, sprang ein, wo Not an der Frau war, wurde sicherer. «Trotzdem musste ich zur Führungskarriere ein bisschen gepusht werden», lacht Nicole, «dazu brauchte es Radmila.»


Potenzial, das zum Tragen kommt

«Ich wusste immer, dass sie das kann», sagt Radmila, «Schon als sie meine Stellvertreterin war.» Radmila Stojicic arbeitet seit ihrem Eintritt in den Wagerenhof im Jahr 2002 in gleichbleibend hohem Pensum als Teamleiterin. «Ohne Unterbruch», bestätigt sie. Als Mutter von drei Söhnen – heute alle erwachsen – keine Selbstverständlichkeit, die Mithilfe des Mannes war unerlässlich. Als erstes übernahm Radmila eine Gruppe von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung. «Obwohl ich davor in der Psychiatrie gearbeitet hatte, war diese erste Zeit schwierig. Ich hatte wegen Krankheitsausfällen kaum Einführung und die Wohnräume waren damals noch sehr karg, keine Bilder, keine Pflanzen, Plastikgeschirr …», sie schüttelt lachend den Kopf. «Für alles mussten wir den Pflegedienst rufen, ich befürchtete, meine medizinische Kompetenz zu verlieren.» Dies war ein No-Go für die diplomierte Pflegefachfrau, die in Bosnien als angesehene Gemeinde-Pflegefachfrau dorfbekannt war. Zum Glück erkannte man ihr Potenzial und übergab ihr mehr Verantwortung. Nach einer Höheren Fachausbildung in Führung und der Übernahme eines weiteren Teams wurde Radmila zu einer der ersten Doppel-WG-Leiterin der Wagi-Geschichte. Heute sagt sie: «Ich bin hier am richtigen Ort.»

«Zwei unterschiedliche Ausbildungen sind iedeal für eine Co-Leitung.»

RadmilaStojicic, Co-Leiterung WG Kleeblatt


Offenheit, Humor, Vertrauen

Draussen sind nun alle Beteiligten parat für das Shooting. Wir wollen noch kurz über die Veränderungen im Wagi sprechen. «Früher war alles ein bisschen intuitiv, man hat einfach mal gemacht. Heute arbeiten wir viel strukturierter, systematischer, das gibt Sicherheit», sagt Nicole. «Und ja, auch als FaBe ist es möglich, eine Leitungsfunktion zu übernehmen.» Radmila stimmt zu und ergänzt: «Die heutige Organisation im Hausverbund bringt viele Vorteile. Die WGs arbeiten enger zusammen. Und es ist noch klarer denn je: Der Mensch steht im Zentrum.»

Nicole, Radmila, was ist wichtig für eine gut funktionierende Co-Leitung? Die beiden schauen sich an. Dann sagt Nicole: «Die Stärken und Schwächen voneinander kennen, offen sein, Humor.» Sie winkt durch die Scheibe zwei Bewohnern zu, wir kommen gleich. Radmila steht auf. «Wir haben keinen Machtkampf. Wir vertrauen einander und fühlen uns sicher.» An der Türe dreht sie sich noch einmal um. «Und die Haltung muss stimmen, mit dem halben Herzen geht es nicht.»

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