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Tagesstruktur

Grenzen überwinden

Daniela Peter, Marketingverantwortliche

23. Juli 2021

Alle im Wagerenhof kennen ihn: Manuel Bachofen trägt intern die Post aus, liefert Päckli und Arbeitsmaterial. Er ist schnell, zuverlässig und weiss seine Kundschaft aufzuheitern. Manuel arbeitet bei jedem Wetter. Wir treffen ihn an einem garstigen Tag auf seiner Tour. Eine Kappe hält seine Ohren warm, ein Poncho schützt vor dem Schneeregen. Sehr wichtig sind die Touchscreen-Handschuhe, denn Manuel muss den Talker, seinen Sprachcomputer bedienen können, mit dem er kommuniziert.

«Mir gefällt besonders, dass ich so vielen Leuten begegnen kann.»

Manuel Bachofen, Bewohner

Beim Empfang nimmt er die Post für das Ressort Technik und Dienstleistungen entgegen. Über eine kleine Rampe gelangt Manuel ins Untergeschoss des Altbaus. Er weiss seinen Rollstuhl millimetergenau durch den schmalen Korridor zu manövrieren und wird von links und rechts gegrüsst. Beim Leitungsbüro angelangt, poltert er an die Türe seines Chefs. Er könnte das Postmäppli einfach ins Fach legen, aber man will sich ja auch «Guten Tag» sagen. Simon Müller, Leiter T&D, nimmt sich wenn immer möglich ein paar Minuten Zeit. «Ich habe gehört, dass du kürzlich steckengeblieben bist?», zieht er Manuel auf, der grinsend nickt. Ein Kollege tritt hinzu und erzählt zur allgemeinen Belustigung, dass Manu im Winter auch schon samt Rollstuhl aus dem Schnee gezogen werden musste.


Mobilität (fast) ohne Grenzen

Der elektrische Rollstuhl ermöglicht es Manuel, selbständig unterwegs zu sein. Wo es Grenzen gibt, sucht er nach Wegen, sie zu überwinden. Er geht in Uster in den Ausgang und fährt auch nach Wetzikon. «Wie bitte? Dein Gefährt schafft es bis nach Wetzikon? Was machst du denn dort?» Die erste Frage bejaht der 31-Jährige, zur zweiten hält er sich schmunzelnd bedeckt. Lieber zeigt er die Spezialhalterungen an seinem Rollstuhl: Talker, Mobiltelefon, Trinkflasche – alles griffbereit. «Seit der Bahnhof Uster barrierefrei gestaltet ist», erzählt er, «kann ich alleine mit dem Zug verreisen.» Das macht er, wenn er zum Beispiel in Zürich oder Rapperswil Kollegen treffen will oder fürs Wochenende zu seinem Vater fährt. Es ist Manuel wichtig, dass er seinen Alltag möglichst selbständig bewältigen kann. Darum ist er auch froh um den Rollator, mit dem er sich in der Wohnung bewegt.
 

Hauptsache Bewegung

Überhaupt ist der junge Mann gerne in Bewegung. Jeden Montagabend geht er ins Turnen und zweiwöchentlich in die Schwimmstunde. Dahin begleitet ihn Ursula, seine externe Bezugsperson, die ihn als Freiwillige unterstützt. Für Manuel ist es ein Glücksfall, dass die beiden die Liebe zum Wasser teilen. «Wasser ist gut für meinen Körper», erklärt er, so würden sich Verspannungen lösen und er könne am Rollator sicherer gehen. Auch die interne Physiotherapie trägt zu einem guten Körpergefühl und mehr Sicherheit bei. Beim Stichwort Wasser kommen wir auf die Ferien zu sprechen. Manuel war schon mehrmals mit seinem Vater, aber auch mit einer Wagerenhof Gruppe am Meer. Mit dem Vater geht er campen, an Open-Air-Konzerte und Hockeymatches. Darf ich raten? Manuel lacht. Alle im Wagerenhof wissen, dass er leidenschaftlicher HC Davos-Fan ist. Wenn er sich am Abend auf seinem PC mal etwas anschaut, ist es Sport. Ansonsten findet er Fernsehen eher «doof», wie er sagt. Vor allem im Sommer, wenn es draussen schön und lange hell ist.

 

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Humor und Ernsthaftigkeit

Begegnungen sind zwar nur kurz, aber dennoch Teil eines Beziehungsnetzes, welches Manuel bewusst pflegt. Dass er über ausgeprägte Sozialkompetenz verfügt, bestätigen alle, die ihn kennen. Er interessiert sich für seine Mitmenschen und nimmt Anteil. Überall, wo Manuel auftaucht, hellen sich die Gesichter auf. Ein Scherzchen hier, ein Spässchen dort – Manu weiss genau, was drinliegt. Er kann sich aber auch konzentriert mit einem Thema beschäftigen.

In der Gesprächs-Teilhaberunde des Wagerenhofs bringt er aktiv seine Meinung ein. Ja, bestätigt er, ein bisschen fühle er sich verantwortlich für die anderen Bewohnerinnen und Bewohner, denen eine solche Beteiligung nicht möglich sei. Auch im Rahmen des Projektes «Inklusionsstadt Uster» hat Manuel schon die Interessen von Menschen mit Beeinträchtigung vertreten.

 

Entwicklung dank Hartnäckigkeit

Der Unterstützung und dem Erfindergeist von Fachpersonen im GeländeWagerenhof, seiner Familie und vor allem seiner Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass Manuel über die Jahre immer mehr Unabhängigkeit erreicht hat. Ein Handy zum Aufladen ohne Kabel, Schuhe mit Klettverschluss und patente Kleider sind Beispiele wichtiger Hilfsmittel. Dass er eine Ausbildung als Referent für Unterstützte Kommunikation absolviert hat, Vorträge an Hochschulen hält und auch schon an einem Kongress in Berlin referierte, ist jedoch vor allem auf seine Lernfreude und Beharrlichkeit zurückzuführen.
 

Der richtige Mann im richtigen Job

Manuel steuert seinen Rollstuhl rückwärts in den Lift. Als Mitarbeiter des Dienstleistungsteams ist er für die interne Verteilung von Postpaketen, Büro- und Hauswirt-schaftsmaterial zuständig. Er erledigt auch Botengänge in die Stadt und auf den Schlosshügel und ist Teil der Recycling-Gruppe, die in Privathaushalten der Nachbarschaft Altglas und –metall abholt. Dafür ist die extra konstruierte Metallbox an der Rückseite seines Rollstuhls äusserst praktisch. So kann er auch grosse und schwere Pakete befördern. Ein solches ist heute dem Informatik-Team zu bringen. T&D-Mitarbeiter Christian legt das Quittierungsbuch dazu. «Nur um die Lieferungen nachverfolgen zu können. Auf Manuel ist Verlass.» Auf meine Frage, was ihm an seiner Arbeit besonders gefalle, sagt Manuel: «Dass ich so vielen Leuten begegnen kann.» Und ergänzt:
«Es ist einfach ein cooler Job.» Hier ist ganz offensichtlich der richtige Mann am richtigen Ort.

Wohnen mit Schwerpunkt «Gemeinschaft und Autonomie»

Auf dem Weg zur IT kommen wir an der Baustelle von Haus 30 vorbei. Der Neubau ist fast fertig, im Juni können die Wohnungen bezogen werden. Manuel wird dann in die neue WG «Alphorn» einziehen. Wie ist das für ihn? Er schaut mich lange an. Dann betätigt er seinen Talker und ich brauche eine Weile, bis ich verstehe: Es ist Traurigkeit und Ungewissheit. Der Abschied vom Provisorium «Rustico», in dem Manuel nun fast drei Jahre gelebt hat, wird nicht leicht fallen. Auch wenn das grosse, moderne Zimmer angebotemit den riesigen Fenstern eine attraktive Perspektive darstellt, ist die Ungewissheit gross: Wie wird sich das Leben in der neuen WG anfühlen? «Probieren», sagt Manuel. Er ist bereit, sich auf ein neues Abenteuer einzulassen.

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